Die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion MBSR (vom englischen „mindfulness-based stress reduction) ist eine weltliche Meditationsform, die von Professor Jon Kabat-Zinn (medizinische Fakultät der Universität Massachusetts in Worcester, USA) entwickelt wurde. Die Methode umfasst ein achtwöchiges Kursprogramm, mit dem die Achtsamkeit geschult wird. Die Konzentration gilt den Empfindungen, die im Körper vorhanden sind, und den Gedanken und Emotionen, die im Kopf permanent entstehen. An einem geschützten Ort findet im Stehen, Sitzen oder Liegen, eine nichtwertende „mentale Inventur der körperlichen Impressionen“ und ein Beobachten der produzierten Gedanken von Augenblick zu Augenblick statt. Dabei bedeutet nichtwertend, dass man sich aus der Perspektive eines Unbeteiligten sachlich beobachtet und z.B. Gedankengänge als das sieht, was sie letztendlich sind: „interessante Absonderungen der Synapsen im Gehirn, …“1. Im NLP-Coaching wäre es wohl ein „dissoziierter“ Zustand, ein Schritt „aus dem Gefühl“, in dem man einen inneren Dialog (gewissermaßen eine  Kommunikation mit sich selbst) führt, den man sich nicht „zu Herzen nimmt“.

Die Achtsamkeitsmeditation des MBSR-Konzepts ruht auf sieben Säulen der inneren Einstellung:2 1. Nicht-Urteilen, 2. Geduld, 3. den Geist des Anfängers bewahren, 4. Vertrauen, 5. Nicht-Erzwingen, 6. Akzeptanz und 7. Loslassen. Diese sieben Aspekte könnte man auch als Regeln für die innere Kommunikation im Rahmen des Achtsamkeitstrainings verstehen.

Wie jedes Trainingsprogramm, so hat auch MBSR „Trainingsinhalte“, die nachfolgend kurz genannt und beschrieben werden.

Die Atemübungen: Die Atmung wird über das Zwerchfell abdominal durchgeführt. Es zieht sich beim Einatmen zusammen, erweitert den Brustraum, der Luftdruck sinkt, was durch die einströmende Luft ausgeglichen wird. Dann entspannt sich das Zwerchfell wieder und kehrt in seine ursprüngliche kuppelförmig nach oben gewölbte Position zurück. Der Brustraum wird kleiner, der Druck steigt und die Luft strömt wieder aus.3 Während der Meditation ist man sich dieses Vorgangs bewusst.

Die Sitzmeditation: »Das Sitzen« gilt als Herzstück der formalen Meditationspraxis. Die Zeit und der Ort sollten geeignet sein für ein »Nicht-Tun« auf einem Kissen, kleinen „Pezzi-Ball“, Bänkchen oder Stuhl. Die Sitzhaltung ist aufrecht, präsent und entspannt zugleich. Rücken, Nacken und Kopf bilden eine Lotrechte. Es ist eine Haltung, die Würde ausstrahlt und in der der Atem, den man beobachtet, ungehindert ein- und ausströmen kann.4

Der Body-Scan: Bei dieser Übung spürt man den ganzen Körper bis ins kleinste Detail. Das erreicht man, indem man sich den Körper als Landschaft vorstellt, die vollständig durchwandert wird (z.B. von der Hüfte in den Oberschenkel, das Knie, den Unterschenkel, den Fuß und die Zehen). Alle Bereiche werden zusätzlich in Muskeln, Sehnen und Knochen unterteilt. Man verweilt überall einen Moment und spürt die Empfindungen, die man dort hat oder nicht hat. Es handelt sich um eine sehr wirksame Meditationstechnik, die ausschließlich im Rahmen des MBSR eingesetzt wird. Ziel ist es, den oftmals verlorengegangenen Kontakt zum Körper wiederherzustellen.5

Das Yoga: In der Physiotherapie gibt es zwei schöne Leitsätze.6 Der erste lautet: „If it’s physical, it’s therapy” („Jede Bewegung ist Therapie“). Genauso könnte man sagen, jede Bewegung, jedes Tun ist Meditation, wenn man sich ihr/ihm achtsam zuwendet. Kabat-Zinn hat für den Bewegungsteil des MBSR-Programms Yoga ausgewählt. Für ihn gilt „Yoga ist Meditation“7.

Der zweite Leitsatz aus der Physiotherapie heißt: „Use it, or lose it“ („Was man nicht gebraucht, verkümmert“). Dies bezieht sich hier auf den Körper, ist jedoch für den Geist ebenso gültig. Hierzu erklärt Kabat-Zinn: „Die vielleicht wichtigste Entwicklung der vergangenen Jahrzehte innerhalb der Medizin ist aber die Einsicht, dass Geist und Körper nicht getrennte Dimensionen sind, sondern eng miteinander zusammenhängen und letztlich eine Einheit bilden, und dass wir folglich Gesundheit nicht mehr als ein Merkmal nur des Körpers oder nur des Geistes auffassen können.“8

Der Ansatz des MBSR-Programms wirkt somit bidirektional: Die Übung des Geistes wirkt in den Körper und das Training des Körpers in den Geist. Um das zu erreichen, ist Yoga eine behutsame Bewegungsform, die man im Stehen, auf dem Stuhl/Rollstuhl oder auch liegend im Bett ausführen kann. Trotzdem ist der gesamte Körper beteiligt. Man gewinnt an Kraft, Beweglichkeit und Koordination. Sogar die Ausdauer wird über die dynamischen Übungen angesprochen.9

Die Gehmeditation: Während es z.B. in der Zen-Meditation langsames und schnelles „Kinhin“ (Gehen) gibt, geschieht das Gehen innerhalb der MBSR-Methode in größter Langsamkeit. Trotzdem findet Bewegung statt, auch wenn es hier vorrangig um das „Erlebnis des Gehens“ geht. Die konzentrierte Achtsamkeit richtet sich „… dabei auf die Empfindungen in den Füßen, den Beinen oder auch auf das Gefühl des sich bewegenden Körpers als Ganzes.“10

Andere Achtsamkeitsübungen: Jede Tätigkeit des Alltags kann man zu einer Übung machen: Das Zubereiten einer Mahlzeit, den Tisch decken, essen, trinken usw.11 Die Übung „des achtsamen Essens von Rosinen“ ist im MBSR-Programm fest verankert.

Der Tag der Achtsamkeit: Hierbei handelt es sich eigentlich um keine einzelne Übung, sondern um ein „kleines Trainingslager“, in dem alle oben beschriebenen Inhalte konzentriert an einem Tag praktiziert werden. Zusätzlich ist es ein Tag der Stille, da nicht miteinander gesprochen wird, vergleichbar mit einem Schweige-Retreat.

Kabat-Zinn meinte zu seinem „Trainingsprogramm“: „Sie müssen es nicht gerne tun, Sie müssen es einfach tun.“12 Das MBSR-Achtsamkeitstraining ist ein Instrument, das uns dabei unterstützt, „… vom Aktionsmodus in den Seinsmodus zu wechseln …“.13

Nachfolgend geht es um die Frage nach der Wissenschaftlichkeit von MBSR. Führt die Anwendung von MBSR zu Veränderungen in Geist und Körper oder in der Einheit von beiden? Falls ja, von welcher Qualität sind diese und konnten sie wissenschaftlich nachgewiesen werden? Davidson14 spricht von „Dutzenden von klinischen Studien“, die die Wirksamkeit von MBSR nachgewiesen haben. In diesen Untersuchungen wurde u.a. gezeigt, dass MBSR den Umgang mit Angstattacken, Depressionen oder chronischen Schmerzen erleichtern kann. Bisher war aber noch wenig über die biologische Wirkung von MBSR bekannt. In mehreren Studien15 befasste sich Davidson mit dem Zusammenhang von langjähriger Meditation und den Veränderungen, die diese im Gehirn bewirkt. Er und sein Forscherteam untersuchten die Gehirnströme praktizierender Mönche mit Hilfe von EEG16 und bildeten ihre Gehirne mit der sogenannten Neuroimaging-Technologie17 ab.

Eine seiner Erkenntnisse bezieht sich u.a. darauf, wie Menschen auf emotionale Herausforderungen („Stressoren“) reagieren. Die Muster, die sich ergeben, beruhen auf einem komplexen Zusammenspiel von angeborenen und anerzogenen Eigenschaften. Achtsamkeitstraining verändert solche Gewohnheiten („Stressreaktionen“), indem im Gehirn bestimmte neuronale Bahnen häufiger, andere hingegen seltener benutzt werden. Beispielsweise deutet der frontale Kortex den Sinngehalt von Erfahrungen. Eine solche Erfahrung könnte ein belastendes Ereignis sein (z.B. ein handfester Streit im Rahmen einer Mediation). Bisher wurde auf einer bestimmten neuronalen Bahn ein entsprechendes Signal direkt und mit voller Stärke ins limbische System transferiert, wo die Amygdala sitzt, die das Erlebnis z.B. absolut negativ bewerten würde. Das „Eidechsengehirn“18 würde die Macht ergreifen mit allen „physiologischen Folgen“ für den Körper des Menschen und seine Umwelt. Durch Meditationspraxis können neue neuronale Bahnen entstehen. Nun wird die Erfahrung zwar immer noch vom präfrontalen Kortex verarbeitet, das Signal wird jedoch ganz oder zum Teil auf neue Bahnen umgeleitet und kommt nicht mehr oder abgeschwächt in der Amygdala an. Das eigentlich stressige Erlebnis löst z.B. kein Gefühl der Angst mehr aus und „zieht vorüber wie Wolken am Himmel“.19

Davidson zeigt mit seinen Untersuchungen, dass das menschliche Gehirn eine Plastizität besitzt, die es „trainierbar“ macht. Auf der Grundlage seiner Forschungsergebnisse entwickelte er den sogenannten „emotionalen Stil“ mit sechs Dimensionen, die sich u.a. mit Meditation positiv beeinflussen lassen.20

Resilienz: Wie schnell oder langsam erholt man sich von belastenden Ereignissen?

Grundeinstellung: Wie lange kann man positive Emotionen konservieren?

Soziale Institution: Wie empfänglich ist man für die Signale, die Mitmenschen aussenden?

Selbstwahrnehmung: Wie präzise erfasst man körperliche Empfindungen, in denen sich emotionale Befindlichkeiten äußern?

Kontextsensibilität: Wie gut gelingt es einem, emotionale Reaktionen an den jeweiligen sozialen Zusammenhang anzupassen?

Aufmerksamkeit: Wie präzise und klar kann man fokussieren?

Die Entwicklung der sechs Dimensionen durch Geistestraining ist eine grundsätzliche Frage der geistigen Transformation. Diese muss nicht unbedingt durch jahrtausendealte kontemplative Traditionen (Meditation) verwirklicht werden. Ebenso erfolgreich ändert man seine Position innerhalb der sechs Dimensionen, wenn man auf bestimmte Psychotechniken des 21. Jahrhunderts zurückgreift (z.B. NLP).

Wie oben bereits erwähnt, ist das MBSR-Programm eine weltliche Meditationsform, weshalb für diese Arbeit die Begriffe MBSR-Achtsamkeitstraining und Meditation synonym verwendet werden. Dabei wird davon ausgegangen, dass es sich um Meditation handelt, die unabhängig von Glaubenssystemen und Weltanschauungen ist.21

 

1 Davidson, R./Begley, S., Warum wir fühlen, wie wir fühlen, 2012, S. 312.
2 Vgl. Kabat-Zinn, J., Gesund durch Meditation, 2013, S. 68.
3 Vgl. ebenda, S. 89.
4 Vgl. ebenda, S. 95.
5 Vgl. ebenda, S. 114 f.
6 Vgl. ebenda, S. 131.
7 Ebenda, S. 128.
8 Ebenda, S. 186.
9 Vgl. ebenda, S. 132 f.
10 Ebenda, S. 151.
11 Vgl. ebenda, S. 169-171.
12 Ebenda, S. 78.
13 Ebenda, S. 56.
14 Davidson, R./Begley, S., Warum wir fühlen, wie wir fühlen, 2012, S. 312.
15 Exemplarisch: Davidson, R. J., et al., Alterations in brain and immune function produced by mindfulness Meditation, in:Psychosomatic Medicine, 65/2003, S.564-570.
16 Elektroenzephalogramm.
17 Vgl. Davidson, R./Begley, S., Warum wir fühlen, wie wir fühlen, 2012, S. 59: Funktionelle Magnetresonanztomografie(fMRT) sowie Positronen-Emissions-Tomografie (PET).
18 Krüger, A., Powerbook -Erste Hife für die Seele- (Trauma-Selbsthilfe für junge Menschen), 2013, S. 46.
19 Vgl. Davidson, R./Begley, S., Warum wir fühlen, wie wir fühlen, 2012, S. 317.
20 Ebenda, S. 14 in Verbindung mit S. 354-386
21 Vgl. ebenda, S. 43.

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